Auf der Promenade wartet der Tod

Ursula Meyer

Auf der Promenade wartet der Tod

Sieglinde Zürichers vierter Fall

2002,  Waxmann Schwarze Serie,  2. unveränderte Auflage, 284  Seiten,  broschiert,  12,70 €,  ISBN 978-3-8309-1183-8

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Eine Mordserie schreckt die Münsteraner Bevölkerung auf: An der Promenade werden grausam verstümmelte Leichen gefunden. Sieglinde Züricher von der Mordkommission soll den Fall aufklären, stößt dabei aber zunehmend auf Schwierigkeiten und Widerstände. Rätsel gibt ihr nicht zuletzt der neue Kollege auf: Warum legt er heimlich rote Rosen auf das Grab eines der Mordopfer? Woher kennt er Merkmale der Leiche, die er nie gesehen hat? Kennt er den Mörder? Trotz des Strudels aus Verdächtigungen und Misstrauen versucht Sieglinde Züricher die Wahrheit aufzudecken und bringt sich dabei selbst in große Gefahr ...

Ursula Meyers vierter Fall mit Sieglinde Züricher überzeugt wieder einmal durch seine vielschichtige und spannungsreiche Handlung.


Leseprobe

Wie so oft im münsterländischen Frühherbst wurde die Woche kühl und regnerisch. In den Bäumen entlang der Handorfer Straße hockten, eng aneinander gedrückt, die Stare, die im Juni so schamlos unseren Kirschbaum geplündert hatten. Nicht mehr lange, und sie würden sich in dichten Schwärmen über den abgeernteten Feldern sammeln, zum Abflug in den Süden. Ihre Unruhe wirkte ansteckend. Immer häufiger beobachtete ich, wie Franz verstohlen eine Straßenkarte zur Seite legte, wenn ich ins Arbeitszimmer kam. Bedeutend unverhohlener begann er dann, seine Fotoausrüstung durchzuchecken, während ich Abend für Abend eine neue Fuhre für die Waschmaschine aussortierte und die Kleiderliste für Kerstins Landschulwoche abhakte.

Zehn Tage waren seit dem 27. September, dem Tag des Verbrechens an der Kreuzschanze, vergangen, als ich vor der Intensivstation erfuhr, dass man Inspektor Lückmann in die Neurochirurgie verlegt hatte und der Besuch von Freunden erlaubt war.

"Aber nur fünf Minuten!" sagte die Schwester, eine weitere Inkarnation jenes grimmig aussehenden westfälischen Urgesteins, das überraschend oft in Münsterschen Kliniken anzutreffen ist. Sie hielt mir die Tür auf. "Und nichts, was ihn aufregt!"

Er saß, durch ein festes Kissen gestützt, fast aufrecht im Bett und verzog, als er mich sah, das Gesicht zu einem gequälten Grinsen. Sein Kopf war bandagiert und in dem Revers seiner Pyjamajacke wurde ein elastischer Gurt sichtbar, wie man ihn bei Rippenbrüchen verwendet. Auf dem Rollwagen am Kopfende lag die Münstersche Zeitung und ein Busch tiefroter Rosen, der bestimmt nicht von seiner Mutter stammte.

Er zog sich an dem Haltegriff noch ein bisschen höher. "Sabine war heute Morgen auch schon da."

Ich holte mir den Stuhl aus der Ecke. Siehe da! Auch der Mini-Napfkuchen aus Hillys Küche hatte sich auf die Station gemogelt. Max folgte meinem Blick. "Den Kuchen hat heute früh die Kollegin aus der Telefonzentrale hereingereicht. Übrigens darf ich ab sofort alles essen, was ich will."

Ich zog eine Papiertüte mit Weintrauben aus der Tasche. "Hier, für dich, ganz frisch vom Markt!" Die kleinen, kernlosen aus der Türkei aß Max am liebsten. "Ihr seid alle so nett zu mir!"

"Quatsch! Du fehlst uns! Wir vermissen deinen Grips. Stimmt es, dass sie dich noch zur Kur schicken?"

Er nickte düster. "Es sieht so aus, als ob in meinem Dachstübchen einiges durcheinander geraten wäre. Hoffentlich bleibt da nichts zurück."

"Nun mach mal halblang! Du hattest einen schweren Unfall. Ist es da ein Wunder, dass einiges durcheinander geraten ist? Woran erinnerst du dich eigentlich?"

Er ließ sich zurücksinken, sein Blick richtete sich auf die Decke. "Wir haben uns gestritten, Sabine und ich."

"Und dann?" fragte ich und hoffte, dass es nicht ungeduldig klänge.

"Mitten in unserer Diskussion sprang sie auf und holte ihren Mantel. Ich wollte mich noch von ihr verabschieden, aber sie rannte schon die Schlaunstraße herunter, und dann war sie weg."

"Wo hattest du den Wagen geparkt? Am Buddenturm?"

"Genau da", nickte er. "Wieso?"

"Wann bist du weggefahren?"

"Um halb eins. Punkt halb eins!" Er nickte, offenbar zufrieden darüber, dass sein "Dachstübchen" auf konkrete Fragen ganz exakt antwortete. "Warum fragst du?"

Ich warf einen Blick zur Tür. Eine Minute blieb mir noch. "In dieser Nacht ist an der Kreuzschanze eine Frau ermordet worden."

Pressestimmen

Durch den Kunstgriff des Ich-Erzählers ist der Leser dieses Krimis nah wie selten am Geschehen. Die Verdächtigungen und Zweifel der Komissarin werden atmosphärisch dicht und hochspannend dargestellt. Hinzu kommt als spezieller Reiz eine Kulisse, die vielen Münsterländern bekannt oder gar vertraut ist.
Aus: Westfälische Nachrichten vom 22.10.2002

Meyer beschreibt die westfälische Domstadt so detailliert, dass man auf den Spuren des Romans einen Stadtrundgang machen könnte. Auch dieses Buch enthält die typischen Markenzeichen ihrer Romane: eine Dienstreise – diesmal nur nach Köln – und eine literarische Anspielung, diesmal auf Max Frisch' Biedermann und die Brandstifter.
Jost Hindersmann in: Lexikon der Kriminal Literatur, 57. Erg.-Lfg. Juni 2007.