Felix Wiedemann

Völkerwellen und Kulturbringer. Herkunfts- und Wanderungsnarrative in historisch-archäologischen Interpretationen des Vorderen Orients um 1900

Kurzlink: https://www.waxmann.com/artikelART100028

freier Download open-access

Abstract

Fragen nach der Herkunft verschiedener historischer Völker und ihren Wanderungen durch Raum und Zeit haben immer schon eine wichtige Rolle in der Archäologie gespielt. Insbesondere Archäologen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts versuchten, Wanderungsrouten bestimmter historischer Völker zu identifizieren und ethnohistorische Kartographien ganzer Regionen zu erstellen. Unabhängig vom behandelten historischen Gegenstand weisen diese Abhandlungen oft bemerkenswerte Ähnlichkeiten in der Art und Weise auf, wie Wanderung dargestellt und erzählt wird. Am Beispiel der Vorderasiatischen Archäologie in Deutschland um 1900 werden im Folgenden zentrale historisch-archäologische Wanderungsnarrative vor dem Hintergrund ihres kulturellen und politischen Kontextes untersucht. Im Zentrum der archäologischen Debatte über Wanderungen im Alten Orient standen vor allem zwei Themenfelder: Die Frage nach der vermeintlichen Herkunft und den Wanderungswegen der 'semitischen Völker' sowie die ethnohistorische Kartographie Kleinasiens in der Antike. Dabei lassen die entsprechenden Darstellungen zahlreiche sich wiederholende Rollen- und Erzählmuster erkennen, die in verschiedenen historiographischen Kontexten der Zeit verbreitet waren. Nicht zuletzt aber weist der archäologische Diskurs über Wanderungen im Alten Orient bemerkenswerte Parallelen zu zeitgenössischen Theorien über die Herkunft der Juden auf und muss entsprechend in den Kontext der zeitgenössischen Debatte um den aufkommenden Antisemitismus gestellt werden.
Schlüsselwörter: Wanderungsnarrative; Wissenschaftsgeschichte; Vorderasiatische Archäologie;Assyriologie; Anthropologie; Semiten; Hethiter

Questions as to the origins of different historical peoples and their movements through time and space have always played a vital role in archaeology. Especially late 19th and early 20th centuries archaeologists tried to identify the routes of migration of certain peoples in order to establish ethno-historical cartographies of entire regions. Regardless the historical context to be dealt with, these accounts oft en share some remarkable similarities in representing and narrating migrations. Using the example of German ancient Near Eastern archaeology at the turn of the 20th century the article examines central migration narratives against the background of their political and cultural contexts. The two most important questions of the archaeological debate on migrations in the ancient Near East were the supposed origin and migrations of the ›Semitic peoples‹ and the ethno-historical cartography of ancient Asia Minor. The archaeological accounts show repetitive role patterns which can be identified in different historiographical contexts of the time. Furthermore, striking parallels between the archaeological discourse on migrations in the ancient Near East and theories about the supposed origins of the Jews clearly demonstrate the importance of the contemporary debate on the rising anti-Semitism in this context.
Keywords: Migration narratives; history of Science; Near Eastern archaeology; Assyriology; anthropology; Semites; Hittites

APA-Zitation
Wiedemann F. (2010). Völkerwellen und Kulturbringer. Herkunfts- und Wanderungsnarrative in historisch-archäologischen Interpretationen des Vorderen Orients um 1900 . EAZ – Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift, 51(1/2), . https://www.waxmann.com/artikelART100028