Thomas Gießmann,
Rudolf Marciniak
"Fast sämtliche Kinder sind jetzt weg"
Quellen und Zeitzeugenberichte zur Kinderlandverschickung aus Rheine 1941-1945
2001, Aus Vergangenheit und Gegenwart, Band 4, 180 Seiten, E-Book (PDF), 15,30 €, ISBN 978-3-8309-6030-0
"Kinderlandverschickung" war von der NS-Führung bewusst als verharmlosender Begriff eingeführt worden, der die Evakuierungsaktion als Erholungsmaßnahme beschönigt. Außer dem Ziel der Evakuierung verfolgten die Nationalsozialisten mit der Zusammenführung von Schulkindern in Lagern auch das erziehungspolitische Ziel, die Jugend fern des Einflusses von Eltern, Schule oder Kirche besser in ihrem Sinne formen zu können.
"Fast sämtliche Kinder sind jetzt weg", dieses schreckliche Bild einer Stadt ohne Kinder beschwört der Lehrer Hermann Rosenstengel in seiner Chronik am 6. Februar 1944 herauf. Rheine war zu dieser Zeit eine von Bombenangriffen gezeichnete Stadt. Ihre Bewohner wurden von ständigen Luftalarmen zermürbt und die meisten Schulen mussten geschlossen werden, weil die Gebäude entweder zerstört waren oder als Ausweichquartiere für andere Institutionen gebraucht wurden. Dies ist ein stadtgeschichtlicher Aspekt, unter dem die Kinderlandverschickung zu betrachten ist.
Fast sechzig Zeitzeugen aus Rheine berichteten für dieses Buch über ihre Erlebnisse, über ihre Ängste und Sorgen während der Kinderlandverschickung und stellten zahlreiche Fotos und private Aufzeichnungen zur Verfügung. Berichte und Quellen aus der Kinderlandverschickung und über den Kriegsalltag in Rheine wurden von Dr. Thomas Gießmann, Leiter des Stadtarchivs Rheine, und von Rudolf Marciniak, Gewerkschaftssekretär a.D. und selbst als Kind Teilnehmer der Kinderlandverschickung, gesammelt und zu diesem Lesebuch zusammengestellt.
Pressestimmen
Die Dokumentation Gießmanns unf Marciniaks öffnet den Blick auf stadt- und sozialgeschichtliche Aspekte des Dritten Reiches, die bislang erst selten wissenschaftlich thematisiert wurden. Die überaus lesenwerte Lektüre regt zum Nachdenken und kritischen Hinterfragen der pseudolegalen NS-Alltagswirklichkeit an.
Annika Sommersberg in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde, 50. Jg., 2005, S. 331f.
Insgesamt vermitteln die zahlreichen und unterschiedlichen Berichte der Zeitzeugen und die diese ergänzenden Quellen einen anschaulichen Eindruck vom Ablauf und von der Wahrnehmung der Kinderlandverschickung durch Kinder und Eltern. Dabei werden auch die - gemäß nationalsozialistischem Rollenbild - geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Betreuung der Kinder und Jugendlichen deutlich. [...] Der vorliegende Band liefert [...] nicht nur einen Beitrag zur Schul- und Lokalgeschichte der Stadt Rheine, sondern trägt darüber hinaus zur Aufarbeitung eines erst in jüngster Zeit beachteten Kapitels des Nationalsozialismus bei.
Ansgar Weißer in: Westfälische Forschungen 54/2004, S. 721ff.
Resümierend bleibt festzustellen, das die Veröffentlichung ein gelungenes Beispiel bildet, wie Stadtarchivare und engagierte Bürger städtische Alltagsgeschichte dokumentieren und der Öffentlichkeit zugänglich machen können.
Friedrich Wilhelm Hemann in: Der Archivar. 56. Jg. H. 1, 2003. S. 78f.
Insbesondere in der Materialauswahl ist der Band ein Beispiel für den Nutzen stadt- und regionalgeschichtlicher Untersuchungen. Zugleich wird mit diesem Band auf ein Desiderat hingewiesen: die Erforschung der faktischen Zustände der Schule in den Jahren des Krieges und in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Klaus-Peter Horn in: Erziehungswissenschaftliche Revue 1 (2002), Nr. 2 (Veröffentlicht am 22.5.2002), www.klinkhardt.de/ewr/893251030.htm
Ein knappes Literaturverzeichnis und ein Index der Orts- und Personennamen runden den Band ab, der nicht nur für Rheiner Stadtgeschichte eine Lücke schließt.
Aus: Osnabrücker Mitteilungen, Bd. 106 (2001), S. 390.
Insgesamt liefern die Dokumente in ihrer Gesamtheit ein anschauliches Bild zu den unterschiedlichen Aspekten der Kinderlandverschickung, die von den organisatorischen Strukturen bis zu den Empfindungen und Eindrücken der Schüler während dieser einschneidenden Maßnahme reichen. [Bei der Publikation ist] nicht zuletzt auch die Auswahl der Abbildungen hervorzuheben [...], deren Auswahl und Eingliederung in den Text als sehr gelungen zu bezeichnen ist. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Index der Ort- und Personennamen runden schließlich den durchweg positiven Gesamteindruck der Publikation ab.
Aus: Archivpflege in Westfalen-Lippe. 55/2001, S. 50f.