Münster - Weimar und zurück

Ursula Meyer

Münster - Weimar und zurück

Sieglinde Zürichers zweiter Fall

2006,  Waxmann Schwarze Serie,  2. unveränderte Auflage, 216  pages,  E-Book (PDF),  12,70 €,  ISBN 978-3-8309-6666-1

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Bei einem Schulausflug zur Burg Hülshoff verschwindet auf rätselhafte Weise ein junges Mädchen und wird kurz darauf tot im Wald gefunden. Erste Nachforschungen ergeben, dass Katharinas Familie aus Weimar stammt und dass sie selbst kurz vor ihrer Ermordung Kontakte nach Ostberlin hatte. War sie Dingen aus der Vergangenheit auf der Spur, die sie besser unangetastet gelassen hätte? Oder ist es eher die Gegenwart in ihrer Wahlheimat Münster, die sie in tödliche Bedrängnis brachte?

Viele Fährten führen Sieglinde Züricher durch Münster und nach Thüringen. Dabei müsste sie dringend ihr Privatleben regeln ...


Leseprobe

"Hatte Katharina einen besonderen Grund, Sie in Berlin zu besuchen?" fragte ich. "Oder ging es nur ums Wiedersehen?"
"Sie war ziemlich durcheinander, als sie kam. Zuerst habe ich gar nicht verstanden, was sie wollte. Erst allmählich kam ich dahinter, daß es um die Gauck-Behörde ging, um einen Termin zur Einsicht in eine Stasiakte."
"In wessen Akte?"
"Sie behauptete, unser Vater hätte eine Akte über einen Weimarer Kollegen angelegt. Mit anderen Worten, daß er als Stasi-Spitzel gearbeitet und mit Hilfe seiner Kirchenzugehörigkeit ausspioniert habe, wer linientreu sei und wer nicht. Ich hielt das für völlig absurd."
"Hat sie gesagt, wie dieser Kollege hieß?"
Sie nickte. "Und das war das einzig Glaubwürdige an der Geschichte. Mein Vater hatte tatsächlich einen Kollegen dieses Namens und war sogar gut befreundet mit ihm."
"Jemand aus der Kirchengemeinde?"
Sie nickte.
"Woher wußte Katharina davon?"
"Das habe ich sie auch gefragt. Aber da wurde sie fast hysterisch. Sie dürfe nichts verraten, weil wir alle in Gefahr seien."
"Hat sie Ihren Eltern davon erzählt?"
Sie schüttelte heftig den Kopf. "Bestimmt nicht!"
"Wäre dieser Kollege Ihres Vaters für die Staatssicherheit überhaupt interessant gewesen? Mal abgesehen davon, daß er Katholik war?"
"Er hatte Westkontakte. Seine Frau stammt aus dem Harz. Sie bekamen ab und zu Besuch von drüben, bis es mal Ärger an der Grenze gab, wegen Büchern oder Zeitungen im Gepäck. Von da an kriegten sie nur noch Briefe und Pakete."
"Lebt dieses Ehepaar noch in Weimar?"
Sie nickte und nannte mir Namen und Adresse.
"Was haben Sie Ihrer Schwester geraten?"
"Sie wollte zur Gauck-Behörde und fragen, ob diese Akte tatsächlich existiert und von wem sie angelegt wurde."
"Und?"
"Ich sagte: "Weißt du, wie lange das dauert? Du stellst einen schriftlichen Antrag und wartest ein halbes Jahr, vielleicht auch ein ganzes. Dann kommt eine Nachricht, ob es diese Akte gibt oder nicht und ob du berechtigt bist, sie zu lesen. Wenn das alles zutrifft, wartest du vielleicht noch mal zwei Jahre, bis du Einblick erhältst. Also mach dich auf langes Warten gefaßt, du bist nämlich nicht die einzige, die sich für Stasiakten interessiert.‘"
"Wie reagierte sie?"
"Zuerst erleichtert und dann wieder mißtrauisch."
"Aber Ihre Antwort war doch eindeutig."
"Nicht eindeutig genug", sagte sie, "sie wollte wissen, ob die Behörde nicht schneller reagieren würde, wenn der Antrag von einer Person käme, die Macht hätte, Geld, Einfluß, was weiß ich? Ich sagte ihr, das müsse schon ein Spitzenpolitiker sein oder jemand aus der Führungsetage der Industrie, in allen anderen Fällen ... 'Auch dann würde es Jahre dauern?‘ fragte sie mich. Und ich sagte: 'Auch dann. Und Geld würde sowieso keine Rolle spielen.‘"
"Mit dieser Person meinte sie denjenigen, der ihr von der Akte erzählt hatte."
Sie nickte.
"Haben Sie irgendeinen Verdacht, wer das sein könnte?"